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Amygdala und Bindungstypen: Kampf, Flucht oder Erstarren – wie Beziehungsmuster entstehen

Aktualisiert: 24. Sept.

Kennst du Situationen, in denen dich etwas scheinbar Kleines wie ein Blitz trifft und du nicht so recht weißt, woher die Reaktion kommt? Spürst du, wie dein inneres Alarmsystem hochfährt, obwohl der Anlass im ersten Augenblick rätselhaft ist? Hier setzt dieser Beitrag an. Du erfährst, was in deinem Körper abläuft, wie alte Muster aus Kindheit und Bindung zur Geltung kommen und weshalb dein heutiges Verhalten in Beziehungen oft viel tiefer wurzelt als gedacht. Zwischendurch stelle ich dir Fragen, damit du dich selbst prüfen kannst. Bist du bereit, genauer hinzuschauen?



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Die drei Reaktionsweisen: Kampf, Flucht oder Erstarren

Wenn das innere Warnsystem anschlägt, zeigen sich meist drei Optionen: Kampf, Flucht oder Erstarren – im Englischen als Fight, Flight or Freeze ausgewiesen. Hast du schon mal gemerkt, wie schnell dein Körper diese Entscheidung trifft? Oft geht das in Sekundenbruchteilen. Du handelst, ziehst dich zurück oder du fühlst dich wie festgehalten.


Was in deinem Körper abläuft

Die Amygdala, auch Mandelkern genannt, liegt beidseitig tief im Schläfenlappen. Sie gehört zum limbischen System, das einen großen Anteil an der Verarbeitung von Gefühlen hat. Von hier aus werden Reize bewertet und an andere Areale weitergeleitet. Der Hippocampus ordnet Erlebtes zeitlich und räumlich ein. Er bindet dabei die Gefühlslage ein. Der Hypothalamus stößt Stress- sowie Fluchtreaktionen an und der Thalamus leitet sensorische Informationen an die Amygdala weiter. Diese Strukturen arbeiten eng zusammen.


Wird das System aktiviert, setzen die Nebennieren Adrenalin frei. Herzschlag und Atmung ziehen an, die Muskulatur spannt sich an, der Blutdruck erhöht sich. Mehr Sauerstoff gelangt ins Gehirn, Sehen und Hören erfolgen geschärft, der Wachheitsgrad nimmt zu. Zusätzlich wird Cortisol ausgeschüttet. Vorgänge, die in diesem Moment nicht gebraucht werden, etwa Verdauung und Immunabwehr, treten in den Hintergrund. Spürst du in solchen Momenten, wie sich dein Körper auf Leistung schaltet?

Falls du dich tiefer einlesen willst, findest du eine leicht zugängliche Erklärung unter Limbisches System • einfach erklärt: Bestandteile [Video], abgerufen am 04.09.2025.


Die drei F anschaulich: eine Reise in die Steinzeit

Lass uns nun gedanklich in die Steinzeit reisen. Stell dir vor, du gehst auf Nahrungssuche. Plötzlich raschelt es im Gebüsch – ein Säbelzahntiger. Für langes Überlegen gibt es keinen Raum. Dein Überlebensmodus springt an: Du stellst dich dem Tier, rennst um dein Leben oder erstarrst. Einleuchtend, oder?


Heute begegnen wir keinem Raubtier auf offener Straße. Trotzdem läuft im Gehirn ein sehr alter Plan ab. Im Alltag zeigt sich das, wenn dich ein Reiz trifft: Du verteidigst dich, du ziehst dich zurück oder du fühlst dich für einen Moment wie eingefroren. Erkennst du dich in einem der Muster wieder?


Alltagsbeispiele – erkennst du dein Muster?

Kampf

  • Streit mit Partner:in, Arbeitgeber:in, Freund:in oder in der Familie

  • Bedrohungsgefühl, gespannte Muskulatur, schneller Puls, flachere Atmung

  • Lauteres Sprechen, anklagender Ton, deutliche Verteidigungshaltung.
Frag dich: Gehe ich in Konfrontation, sobald ich mich angegriffen fühle?


Flucht

  • Du weichst Auseinandersetzungen aus.

  • Laute Situationen strengen dich an.

  • Rückzug als schnelle Entlastung. Auf der Körperebene laufen sehr ähnliche Reaktionen ab wie beim Angriffsmodus.
Frag dich: Verlasse ich lieber den Raum, statt etwas anzusprechen?


Erstarren

  • Der Herzschlag verlangsamt sich, Muskeln werden starr, ein Gefühl der Lähmung entsteht.

  • Dissoziation kann auftreten: Wahrnehmung, Bewusstsein und Gedanken wirken wie voneinander getrennt.

  • Bei chronischer Ausprägung können Angstzustände und depressive Episoden folgen.

  • Typisch in Situationen, die ausweglos erscheinen, etwa im Umfeld traumatischer Erfahrungen
Frag dich: Friere ich innerlich ein, sobald es zu viel wird?


Bindungstypen – wie Nähe und Sicherheit entstehen

Vielleicht fragst du dich jetzt: Was hat das mit Bindung zu tun? Sehr viel. Bindungserfahrungen formen Reaktionsmuster, die wir später in Beziehungen wiederfinden. Schau dir die folgenden Muster an. In welchem erkennst du dich am ehesten?


Sicheres Bindungsmuster

  • Nähe fühlt sich stimmig an.

  • Bei Problemen suchst du Unterstützung.

  • Gefühle lassen sich ausdrücken, in Gegenwart der Partnerin oder des des Partners entsteht Sicherheit.

  • Bedürfnisse werden deutlich benannt.

  • Verbundenheit wird erlebt und gesucht.

  • Kontakt beruhigt, Co-Regulation gelingt.

  • Körpernähe ist willkommen.


Unsicher-ambivalentes Bindungsmuster

  • Wiederholte Suche nach Aufmerksamkeit.

  • Geringes Selbstvertrauen.

  • Selbstbild wirkt eher negativ
Frag dich: Schwanke ich zwischen Nähewunsch und Angst, übersehen zu werden?


Unsicher-vermeidendes Bindungsmuster

  • Bei Unsicherheit brichst du Beziehungen leichter ab.

  • Nähe wird gemieden, Körperkontakt fällt schwer.

  • Der Umgang mit Gefühlen wirkt unangenehm.

  • Ablenkung hilft, innere Spannung auszuhalten.
Frag dich: Halte ich Distanz, um mich zu schützen?


Unsicher-desorganisiertes Bindungsmuster

  • Wechsel zwischen Angriff, Rückzug und Erstarren

  • Abstoßende Gesten und anschließendes Klammern

  • Sicherheit in Bindungen fehlt, Abwehr und Misstrauen treten häufig auf

  • Dissoziation kann eine Rolle spielen.
Frag dich: Wechsele ich sprunghaft zwischen Nähe und Distanz?

Quelle: Lengning, A. & Lüpschen, N. (2019). Bindung (2. Auflage). München: Ernst Reinhardt.


Warum ich die Amygdala und Bindungstypen hier ausführlich erkläre

Beide Themenfelder – Neurobiologie der Alarmreaktion und Bindungsdynamiken – wirken unmittelbar in deinen Alltag hinein. Sie zeigen sich im Gespräch mit Partner:in, in der Familie, am Arbeitsplatz, unter befreundeten Personen. Je genauer du die Muster kennst, desto eher erkennst du im Moment, was dich anstößt. Lass uns das anhand von Beispielen in den Blick nehmen.


Beispiel 1: Verantwortung als Kind – Parentifizierung

Vielleicht kommst du aus einem Elternhaus, in dem du früh Rollen übernommen hast, die eigentlich Erwachsenen zufallen. Fachsprachlich nennt man das Parentifizierung. Du hast dich um Mutter, Vater oder beide gesorgt, auf jüngere Geschwister aufgepasst, viel im Haushalt erledigt, wenig Freizeit erlebt. Mitunter war ein Elternteil kaum anwesend, häufiger treten psychische Erkrankungen oder Abhängigkeitserkrankungen auf. Erkennst du hier Anteile deiner Biografie?


In meiner Praxis höre ich oft Sätze wie Ich habe Angst, dass mein Partner mich verlässt, wenn wir streiten. Die Reaktion hängt vom Bindungsmuster ab.


  • Der sichere Bindungstyp geht davon aus, die eigene Meinung äußern zu dürfen und angenommen zu werden. Die Beziehung gilt als tragfähig, auch wenn man nicht einer Meinung ist.

  • Der unsicher-vermeidende Bindungstyp spürt inneren Druck, unausgesprochene Erwartungen zu erfüllen. Ein Ja rutscht schnell über die Lippen, obwohl ein Nein gemeint ist. Das erzeugt das Gefühl, sich zu verbiegen. Eigene Bedürfnisse rücken nach hinten; andere stehen vorn. Häufig begleitet ein geringes Selbstvertrauen dieses Muster. Hinzu kommt eine wackelige Balance zwischen Nähe und Distanz.


Solche Schilderungen erlebe ich oft bei Frauen, die Kinder und Haushalt managen. Sie organisieren den Alltag, denken an Termine, sorgen für Abläufe und stellen die eigenen Anliegen zurück. Das verdient großen Respekt, denn es ist ein Einsatz rund um die Uhr.


Beispiel 2: Entscheidungen in der Partnerschaft

Manchmal werden Bedürfnisse nicht ausgesprochen. Jemand zieht der Liebe zuliebe an einen Ort, der sich nicht gut anfühlt. Urlaubsziele werden gewählt, die Kälte mitbringen, obwohl Wärme guttun würde – aus Rücksicht auf den Wunsch des Gegenübers. Frag dich: Wo sage ich Ja, obwohl mein Inneres auf Nein zeigt?


Meine Vorgehensweise in Beratung und Therapie

Wie läuft das in der Zusammenarbeit? In der Arbeit mit Einzelklienten:innen, Paaren und Familien spreche ich früh über Biografie, frühe Erfahrungen und das Familiensystem. Dazu zählen auch Eltern und Großeltern. Ein Genogramm hilft, Zusammenhänge abzubilden. Aus den Informationen entstehen Hypothesen, die in den Sitzungen geprüft werden. So wird Schritt für Schritt deutlich, welche Auslöser bestimmte Reaktionen anstoßen. Spürst du, wie schon das Benennen Entlastung bringen kann?


Kommunikation und Konflikte tauchen in nahezu jeder Beziehung auf. Dazu folgt ein eigener Beitrag. Hier richtet sich der Fokus auf Muster, die aus der Kindheit stammen und sich in der Gegenwart zeigen.


Emotionsfokussierte Paartherapie: Verfolger:in und Rückzügler:in

In meinen Sitzungen nutze ich Konzepte der Emotionsfokussierten Paartherapie (EFT). Zwei Rollen treten häufig auf:

  • Rückzügler:innen gehen bei Konflikt innerlich auf Distanz, machen dicht und versuchen, Gefühle allein zu regulieren.

  • Verfolger:innen halten fest, suchen Kontakt und Sicherheit, aus Angst, verlassen zu werden.


Im Streit erhöhen Verfolger:innen den Druck, um die Bindung zu sichern. Rückzügler:innen ziehen sich umso stärker zurück, je intensiver die Ansprache wirkt. Kennst du diese Spirale? Es gibt Varianten, in denen beide angreifen, beide verfolgen oder beide ausweichen – etwa ein erschöpftes Gegenüber, das kaum Initiative zeigt, oder zwei Menschen, die gleichzeitig Distanz suchen.


In den Sitzungen mache ich die Muster sichtbar und benenne die Trigger. Mit jedem Paar führe ich je zwei Einzelsitzungen durch, um Hintergründe zu verstehen und Reaktionen einzuordnen. In Absprache kann der andere Teil als stille:r Beobachter:in anwesend sein und erhält Einblick in die Innenwelt des Gegenübers. Dieses Mit-Erleben fördert Verständnis und nimmt Schärfe aus wiederkehrenden Dynamiken.


Anschließend erarbeiten wir gemeinsam alltagsnahe Optionen und handhabbare Strategien. Dazu setze ich unterschiedliche Interventionen ein, angepasst an eure Situation. Du bekommst Impulse, die du zwischen den Terminen ausprobieren kannst. Was möchtest du als Erstes testen?


Deine Selbstreflexion – kleine Fragen für den Alltag

  • In welcher Situation war ich zuletzt im Kampfmodus, und was hat den Schalter umgelegt?

  • Wo gehe ich auf Distanz, obwohl ein Gespräch wahrscheinlich hilfreicher wäre?

  • Wann erstarrt mein System, und wie kann ich mich dann behutsam wieder ins Hier und Jetzt holen?

  • Welches Bindungsmuster spiegelt sich in meiner Partnerschaft am stärksten?

  • Welche eine Sache spreche ich in dieser Woche offen an?


Rückmeldungen, Einblick und nächste Schritte

Auf meiner Website findest du Stimmen ehemaliger und aktueller Klienten:innen. Wenn du noch unentschlossen bist, ob du Kontakt aufnehmen möchtest, helfen dir diese Einblicke beim Orientieren. Weitere Rückmeldungen veröffentliche ich in regelmäßigen Abständen. Lies gern hinein und prüfe, was du für dich mitnehmen willst.

Möchtest du zu zweit starten oder zunächst allein sprechen? Beides ist möglich. Wenn dich bestimmte Themen aus diesem Beitrag betreffen, notiere dir Stichworte und bring sie mit. So steigen wir direkt dort ein, wo es für dich relevant wird.


Einladung

Ich freue mich darauf, dich kennenzulernen und dich – oder euch – ein Stück auf eurer gemeinsamen Reise zu begleiten. Nutze dafür gern das Kontaktformular. Wenn du magst, beantworte in den Kommentaren eine Frage: Welches der drei Muster erlebst du am häufigsten – Kampf, Flucht oder Erstarren – und in welcher Situation taucht es auf?





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Herzlich,

Linda Huber




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